klau|s|ens, gestern also die
plädoyer
der verteidigung. was fiel auf?
sie wollen keinen freispruch.
bzw. sie sehen, dass es einen solchen
nicht geben kann. (zugleich
wollen sie immer noch die einstellung des verfahrens.)
keinen freispruch? wieso?
... weil die taten zugegeben sind,
und ganz offensichtlich. da kann man nicht mehr freispruch fordern.
AUSZUG AUS DEM STRAFGESETZBUCH:
§ 211 Mord
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder
sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln
oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
§ 212 Totschlag
(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als
Totschläger
mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange
Freiheitsstrafe zu
erkennen.
§ 213 Minder
schwerer Fall des Totschlags
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem
Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere
Beleidigung von dem
getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle
zur
Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
dann war es also mord? 3 x mord? mord an den opfern kusters, de
groot und bicknese? 3 untaten? und für die wird heinrich boere nun
verurteilt? boere, der niederländer als "repressalmaßnahme"
abschoss,
weil sie dem widerstand als nah galten und die deutsche besatzung nicht
wollten? boere, der für die SS aktiv war? und zuvor für die
waffen-SS?
und für den/die NSB?
die verteidigung sieht es anders:
sie sieht die idee der "arglosigkeit des opfers" in einem fall nicht
gegeben.
"arglosigkeit"?
ja, ja, das rechtssystem muss ja
entscheiden, ab wann ein mord ein mord ist, und was zu einem mord
gehört. und neben der "heimtücke", die man kennt, oder den
"niederen
beweggründen", von denen man schon hörte, gibt es auch eine
idee der
arglosigkeit. ich zitiere
juraforum.de:
>>Dabei sind folgende
Gruppen der Mordmerkmale zu unterscheiden:
1.
Besonders verwerflicher Beweggrund
*
Mordlust
Mordlust ist die Freude an dem Töten eines Menschen.
*
zur Befriedigung des Geschlechtstriebs
Zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs tötet, wer durch die
Tötung
sexuelle Befriedigung erlangt oder sich an der Leiche befriedigen will,
sowie der Täter, der im Rahmen einer Vergewaltigung den Tod des
Opfers
in Kauf nimmt.
*
Habgier
Habgier ist die Steigerung des Erwerbssinns auf ein ungewöhnliches
und
unsittliches Maß.
*
sonstige niedrige Beweggründe
Sonstige niedrige Beweggründe sind Beweggründe, die nach
allgemeiner
sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und nach allgemeinen
Wertmaßstäben besonders verachtenswert sind.
2.
Besonders verwerfliche Art und Weise
*
grausam
Grausam tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger
Gesinnung
besondere Schmerzen und Qualen zufügt, wobei dies auch seelische
Qualen
sein können.
*
gemeingefährlich
Mit gemeingefährlichen Mitteln tötet, wer zur Tötung ein
Mittel
einsetzt, dessen Wirkungsweise er nicht beherrscht. Ausschlaggebend ist
nicht die Art des Mittels sondern die Beherrschbarkeit durch den
Täter.
So kann Brandstiftung ein gemeingefährliches Mittel sein, muss es
aber
nicht, wenn der Täter die Ausdehnung des Brandes objektiv
beherrscht.
*
heimtückisch
Heimtückisch tötet, wer bewußt die Arg- und
Wehrlosigkeit des Opfers
ausnutzt.
3.
Besonders verwerflicher Zweck
*
Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken
Dabei muss es sich nicht um die eigene Tat des Täters handeln,
erforderlich ist jedoch, dass es sich um eine Straftat handelt, nicht
ausreichend ist eine Ordnungswidrigkeit u.ä. Es muss sich nicht um
die
alleinige Absicht handeln, aber sie muss doch der wesentlichste Grund
für die Tötung sein.
Grundsätzlich reicht die Verwirklichung eines Mordmerkmals
für die
Erfüllung des Mordtatbestandes aus. Hinsichtlich des Mordmerkmals
Heimtücke ist aber seit der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts
zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe
bei Mord
(BVerfG 21.06.1977 - 1 BvL 14/76) anerkannt, dass dieses Merkmal einer
restriktiven Interpretation bedarf. Mit anderen Worten: Nicht jede
heimtückische Tötung erfüllt die Tatbestandsmerkmale
eines Mordes sein.
Vielmehr müsse der Heimtücke zugleich der Makel der
Verwerflichkeit
anhängen, was etwa bei einem verwerflichen Vertrauensbruch der
Fall
ist. Demnach kann trotz heimtückischer Tötung Mord
ausgeschlossen sein
in Fällen, wo eine feindliche Willensrichtung fehlt
(Mitnahmesuizid)
oder bei Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation
(Tyrannenmord).
Das Motiv der "Blutrache" ist nach der Entscheidung BGH 10.01.2006 - 5
StR 341/05 grundsätzlich als ein niedriger Beweggrund
anzusehen.<<
und nun?
nun kommt die kunst der
verteidigung: weil in einem fall das opfer mit dem auto weggefahren
wurde, und dann beim halt zu fliehen versuchte, aber bei diesem halt
auch erschossen wurde, weil ja alles absichtsvoll war ... weil dem aber
so war ... und weil der arme nicht "schon" im haus oder im laden
erschossen wurde, sondern noch weggefahren wurde ... also ja mitfuhr
... es gab einen vorwand ... da gilt dann die arglosigkeit wohl nicht
... usw. usf. ... auf jeden fall gelte in diesem fall dann auch deshalb
kein mord. (so die
verteidigung - hier mal sehr grob zusammengefasst.)
das ist ja eine verhöhnung des opfers!
genauso ist es: wenn die lage
unübersichtlich ist, und wenn diktatur herrscht, und wenn es "das
böse"
an jeder ecke gibt, dann musst du als kritischer mensch damit rechnen,
dass auch du von dieser diktatur erfasst wirst ... und dann bist du
zwar ein opfer, aber keines der arglosigkeit, weil man das umfeld ja
kennt. wenn es bei dir
klingelt, ahnst du schon: SS. ACHTUNG!!! ... und dann bist du nicht
"arglos".
wenn das umfeld also böse ist, sind immer untaten zu erwarten,
und
ich kann mich als opfer nie mehr auf "arglos" berufen, was dann dazu
führen könnte, dass eine verteidigung später sagen
könnte: der mann ist
nicht ermordet worden, weil das merkmal der "arglosigkeit" und der
"wehrlosigkeit" nicht gelten kann?
ja, so ungefähr muss man das
sehen.
du hast natürlich jetzt noch mehr als die verteidigung
übertrieben.
aber in etwa geht so der strang. in etwa. (da wir keine juristen sind,
können wir die dinge nur grob schildern.)
warum nur? was will die verteidigung?
die idee ist: als verteidigung
musst du alles für deinen mandanten herausholen. und alles sieht
derzeit nach einer verurteilung von boere aus. jetzt aber ist klar,
dass mord eigentlich immer lebenslang ist. nun also muss die
verteidigung sich was überlegen.
und was hat die sich überlegt? die verteidigung?
sie hat sich überlegt: wir haben
die
chance, dass wir die strafe deutlich reduzieren. dazu ist es erst
einmal taktisch klug, dass man von einem zweifachen mörder
spricht, und
nicht von einem dreifachen. und dann suchten sie sich das opfer kusters
aus, weil es für den keine angehörigen gibt, die als
nebenkläger
auftreten. kusters ist also nicht nur "nicht arglos" gewesen, damals,
sondern auch noch schutzlos, heute.
so, so.
und nun müssen sie noch von
diesem
lebenslang runter. das wäre der nächste schritt. und da hat
die
verteidigung gut gearbeitet.
inwiefern?
sie hat sich mit der rechtsprechung
in bestimmten ausnahmefällen beschäftigt, und diese studiert,
und diese
dann auch für diesen fall herangezogen.
welche rechtsprechung?
es gibt fälle, wo mörder
trotz
anerkannten mordes nicht für lebenslang verurteilt worden sind. es
gibt
manchmal "ausnahmen" in der rechtsprechung, welche natürlich gut
begründet sein müssen. und damit hat sich die verteidigung
befasst.
das gefiel dir?
ja, mir gefiel, dass die verteidigung
in ihrem bemühen, das beste für heinrich boere herauszuholen
(und dazu
ist die verteidigung in unserem rechtssystem ja ausdrücklich da:
sie
soll alles herbeiholen, was gegen die anklage und für den
angeklagten
spricht ... sofern es hand und fuß hat und nicht an den haaren
herbeigezogen ist.), alles
versuchte.
hatte es denn hand und fuß?
das kann ich nicht beurteilen, weil
es hier tief in die rechtsmaterie geht. man braucht sachverstand
höchster güte. es geht z.B. um den zeitablauf der ereignisse,
z.B.,
weil eben das verbrechen schon so weit zurückliegt, aber auch der
gesamte irrweg um das verfahren selbst, welches ja selbst 1984 nicht
zustande kam, weil ein oberstaatsanwalt weissing in dortund das
verfahren mit kuriosen argumenten nicht weiterführte ... und dann eben die ganze geschichte des
falls, vom todesurteil (schon 1949) in den niederlanden bis zur flucht
nach deutschland, dem "unbescholtenen" leben des heinrich boere hier
... dann die aktivitäten der niederlande, den mann ausgeliefert zu
bekommen. das versagen der deutschen justiz in all den jahren.
ach so.
ja, ja, jedenfalls nannte die
anklage auch (
www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1995/0311/politik/0040/index.html
) das urteil gegen mielke, "unseren" STASI-mielke.
den konnte man nicht recht vor gericht bringen und fand dann als
anklagbar heraus, dass er 1931 als kommunist wohl zwei polizisten
erschoss, nachdem zuvor ein arbeiter von der polizei erschossen worden
war.
und?
mielke ist doch wegen dieser morde
von annodazumal veruteilt worden, aber eben nur zu 6 jahren. obwohl der
mord anerkannt wurde, sah man sich zur ausnahme von lebenslang
bemüßigt, und mielke bekam nur 6 jahre.
das sind ja alles kuriose angelegenheiten.
die rechtsprechung ist sehr kurios.
bisweilen sprachklabusterei. aber man muss sich erst einmal näher
damit
befassen. die verteidiger von boere jedenfalls, matthias rahmlow und
gordon christiansen, setzten einen großen teil ihres stranges auf
diese
zusammenhänge und auf rechtsprechungen vom BGH bzw. die
urteilsbegründungen, sogar vom bundesverfassungsgericht, zogen
dann die
argumentationslinien in die boere-sache rüber und kamen dann auf
eine
forderung von ...
von wieviel?
... von 7 jahre haft. zwei morde
und ein totschlag, dazu bestimmte besondere umstände: 7 jahre.
das ist ja ein dickes ding! mehr nicht?
wir sind hier voll in einer
rechtsbetrachtung. und in argumentationsketten. und in der gewissheit,
dass die ganze sache in revision gehen wird. jede revision, die nur
etwas aussicht hat, kann deinen ruf als anwalt oder staatsanwalt
beflügeln. und die beiden anwälte boeres wollen hier
pflöcke
einschlagen.
haben sie denn noch mehr zu bieten?
sie haben dann immer noch die sache
mit der verbotenen doppelbestrafung, die sie sehen, nach den
lissabon(n)er verträgen, und § 54 SDÜ = schengener
durchführungsabkommen (Schengener
Durchführungsübereinkommen; Verbot der Doppelbestrafung -
Verurteilung
in Abwesenheit wegen derselben Tat; Begriff der rechtskräftigen
Aburteilung; Begriff der "nicht mehr vollstreckbaren Sanktion";
zeitlicher Anwendungsbereich. Art. 54 SDÜ), aber das hatten
wir
ja alles schon im prozess. sie haben diese dinge aber in ihrem
plädoyer
wiederholt, und machten klar, dass sie immer noch "die
einstellung des verfahrens" fordern. da diese aber derzeit nicht
durchgeht, da vom gericht abgelehnt, halten sie an der forderung fest,
für eine revision, und zugleich fordern sie (nur) diese 7 jahre
haft
für boeres mordaktionen.
ach so.
boere also wird schuldig gesprochen, muss man annehmen, aber jetzt
wird am strafmaß herumgezerrt: lebenslänglich oder nicht?
wann gibt es
ausnahmen von "lebenslänglich" in einem zugestandenen mord?
wer muss das beantworten?
das gericht - in seinem urteil,
welches wir nächste woche erwarten.
LIVE-GEDICHTE: KLAUSENS BEIM
HEINRICH-BOERE-NS-KRIEGSVERBRECHERPROZESS IN AACHEN www.klausens.com/klausens-beim-boere-ns-kriegsverbrecherprozess-in-aachen.htm